1970

Prozess gegen Ernst Schnabel und den Studenten Lunzer, Hamburg

Der Schriftsteller Ernst Schnabel war der Librettist von Hans Werner Henzes Oratorium „Das Floß der Medusa“. Text und Musik waren Che Guevara gewidmet. Henze hatte für die Premiere den Hamburger Hafen gewünscht, musste sich jedoch mit dem Norddeutschen Rundfunk (NDR) auf einen Kompromiss einigen, derart, daß die Aufführung in den Ernst-Merck-Hallen stattfand. Die Aufführung konnte jedoch nicht beginnen, weil Studenten eine rote Fahne auf dem Podium anbrachten, worauf der Chor des RIAS sich weigerte, zu singen. In dem entstehenden Aufruhr entfernte der NDR-Programmdirektor die rote Fahne und die bereitstehende Polizei nahm demonstrierende Studenten fest, in der Folge auch Ernst Schnabel, der zwischen Polizei und Demonstranten hatte vermitteln wollen, und der sich der Festnahme widersetzte.

Ernst Schnabel, ein Gegner der Nazis, war jahrelang Generalintendant des NWDR gewesen. Zum Zeitpunkt der Festnahme wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt war er Leiter des dritten Programms in Berlin. Das Angebot einer Freilassung durch Vermittelung des NDR-Intendanten und des Polizeipräsidenten wollte er nur annehmen, wenn zugleich auch die Studenten freigelassen würden.

Aufgrund der Beweisanträge der Verteidigung kam es in dem Strafprozess, den der Richter Albrecht Menz im Falle Schnabel sehr höflich führte – wohingegen er bei dem Studenten Lunzer einen anderen Ton anschlug, – zu einer Unterbrechung. Auch das Verfahren gegen den Studenten Lunzer wurde unterbrochen und fiel ebenfalls, wie zuvor das gegen Schnabel, unter die Heinemann-Amnestie von 1969.

Vergl. Ernst Schnabel: Das Floß der Medusa. Text zum Oratorium zu H.W. Henze. Zum Untergang einer Uraufführung. Postskriptum nach dreiunddreißig Tagen. Piper Verlag, München 1969.